Ob und warum ein Escrow-Agreement (Software-Hinterlegungsvereinbarung) aktuell sinnvoll ist
Software kann essentielle Bedeutung für ein Unternehmen haben. Sei es, weil sie die Produktions- und Geschäftsprozesse steuert (zB ERP-Software), sei es, weil sie in Produkte des Unternehmens verbaut ist (Embedded-Software). Software muss laufend aktualisiert werden. Was heute „Stand der Technik“ ist, ist morgen bereits veraltet. Daraus resultieren Abhängigkeiten des Softwareanwenders. Schwerwiegend sind daher die Folgen, wenn die Wartung der Software nicht mehr sichergestellt ist. Es ist daher ein wichtiges Element der Business-Continuity- und Disaster-Recovery-Strategie, vor derartigen Gefahren abgesichert zu sein. Welche Rolle Escrow-Agreements in diesem Zusammenhang spielen, lesen Sie in diesem Artikel.
Der Softwareanbieter in finanziellen Schwierigkeiten
Gerät ein Softwareanbieter in finanzielle Schwierigkeiten, bishin zur Insolvenz, stellt sich die Frage: Darf der Anwender die Software weiterhin nutzen?
Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie der Softwarevertrag zivilrechtlich zu qualifizieren ist. In Betracht kommt eine Qualifikation als Kauf-, Werk-, Dienst-, oder Mietvertrag. Im Falle eines Mietvertrages entscheidet – im schlimmsten Fall – der Insolvenzverwalter darüber, ob die Software weiterhin vom Anwender genutzt werden kann oder nicht.
Ein praktisches Problem stellt sich dabei immer: Kann der Quellcode der Software vom Anwender oder einem Dritten gewartet und gepflegt werden? Hier spielt die Komplexität, Dokumentation und Evolvierbarkeit des Quellcodes ein große Rolle.
Die Lösung: Escrow-Agreement
In diese Fällen kann ein Escrow-Agreement (sehr) wichtig sein. Typische Anwendungsfelder von Escrow-Agreements sind:
- Schutz von Anbieterinsolvenz
- Schutz vor Einstellung des Geschäftsbetriebs oder Software
- Schutz vor (ungerechtfertigter) Erfüllungsverweigerung
- Schutz bei Projektabbruch
- Befundsicherung und Nachweis der Urheberschaft
Wesentlicher Inhalt einer solchen Software-Hinterlegungsvereinbarung ist, dass der Quellcode bei einem dritten Verwahrer (Notar, Rechtsanwalt oder – und das ist zu empfehlen – einer spezialisierten Hinterlegunsstelle) verwahrt wird. Dieser Verwahrer darf den Quellcode gegenüber dem Anwender nur offenlegen, wenn zuvor definierte Umstände vorliegen. Bei der Definition dieser Herausgabeumstände, der Beschreibung des Hinterlegungsgegenstandes und den einzuräumenden Rechten ist eine hohe Detailtiefe erforderlich um Missbrauch (und Missverständnisse) zu vermeiden.
Wesentliche Vertragsinhalte eines Escrow-Agreements
Folgendes Aspekte werden typischerweise in einem Escrow-Agreement geregelt:
- Insolvenzrechtliche Fragestellungen
- Frequenz der Hinterlegung
- Dokumentation des Quellcodes
- Evaluierung der Nachvollziehbarkeit des Quellcodes
- Herausgabefälle
- Nachweise der Berechtigung zur Offenlegung des Quellcodes
- Verwertungs– und Bearbeitungsrechte der Software
- Geheimhaltungspflichten
- Und Vergütungsansprüche des Verwahrers
Fazit und Handlungsempfehlung
Es gilt die Faustregel: Je kritischer die Software für den Anwender, desto eher sollte ein Escrow-Agreement abgeschlossen werden. Die Gefahr, dass die Software von einem Tag auf die andere nicht mehr gewartet wird ist real (vor allem im Falle einer schlecht dokumentierten Software). Selbstverständlich müssen Softwareanbieter bei der Formulierung des Escrow-Agreements darauf achten, dass Ihre Geschäftsgrundlage – der Quellcode – angemessen geschützt ist.
Autor: Dr. Tobias Tretzmüller, LL.M. (IT-LAW), Rechtsanwalt
Ich stehe Ihnen bei Fragen gerne unter 0664/5307618 zur Verfügung.
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