Wann ist eine Software mangelhaft? Eine Übersicht der österreichischen und deutschen Rechtsprechung
Interessant für: IT-Projektmanager, Softwareentwickler, Sales, Controlling, Legal, CISO
Zusammenfassung: Übersicht der Rechtsprechung betreffend Softwaremängel
Wann ist eine Software fehlerhaft – wann ist sie mangelhaft und was sind die Konsequenzen?
Wann ist eine Software mangelhaft im Sinne des Gewährleistungsrecht? Einerseits muss berücksichtigt werden, dass ab Erreichung einer gewissen Komplexität ein Softwarefehler (nahezu) unvermeidbar ist. Andererseits bedeutet dies freilich nicht, dass der Anwender jeden Fehler dulden muss. Wo genau die Grenze zwischen einem zu tolerierendem Softwarefehler und einem gewährleistungspflichtigem Softwaremangel liegt, ist in der Praxis im Einzelfall zu beurteilen. Um diese Frage zu beantworten, orientiert man sich am besten an der bestehenden Rechtsprechung. In diesem Artikel versuchen wir die diesbezügliche Rechtsprechung systematisch abzubilden. Das übergeordnete Ziel ist dabei, ihnen ein „Gefühl“ für Ihren Sachverhalt zu vermitteln. Die Angabe der Fundstellen soll eine weitergehende Recherche ermöglichen. Nachdem die österreichische Rechtsprechung zum Softwarenmangel nicht sehr ergiebig ist, soll auch die deutsche Judikatur einbezogen werden.[1]
Was sind die rechtlichen Konsequenzen, wenn eine Software mangelhaft ist?
Was bedeutet es eigentlich, wenn eine Software mangelhaft ist? Wenn eine Software mangelhaft ist, hat das Softwareunternehmen – in der Regel – verschuldensunabhängig für die Mangelhaftigkeit der Software zum Zeitpunkt der Abnahme einzustehen. Als rechtliche Konsequenz kann der Anwender zunächst Verbesserung oder Austausch der Software und auf zweiter Ebene Preisminderung und Wandlung (Aufhebung des Vertrages) geltend machen. Trifft den Softwarehersteller ein Verschulden an der Mangelhaftigkeit der Software, kann dieser zudem schadenersatzpflichtig werden.
Systematische Einordnung von Softwarefehlern:
Um eine bessere Orientierung zu ermöglichen, werden typische Softwarefehler in nachstehende Kategorien eingeteilt[2]:
- Funktionsmängel: Damit sind Fehler gemeint, die in der Diskrepanz zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Ergebnis einer Software liegen (zB: Eine Software berechnet einen bestimmten Wert mathematisch unkorrekt);
- Funktionsdefizite: Damit ist gemeint, dass eine Software notwendige oder vereinbarte Eigenschaften gar nicht beinhaltet (zB: Personenbezogene Daten können nicht gelöscht werden[3]);
- Fehlende Interoperabilität: Gemeint ist hier, dass die Software keine Schnittstellenkompatibilität aufweist oder keine technologischen oder rechtlichen Adaptionen zulässt (zB: Eine Software soll von einem „on premise“-Betrieb auf Hosting in der Cloud [„SaaS“] umgestellt werden);
- Geringe Arbeitsgeschwindigkeit: In diese Kategorie fallen unzumutbar langsame Arbeitsweisen einer Software (zB: Die Download-Time ist ungewöhnlich lange);
- Sicherheitslücken: Darunter sind Fälle zu fassen, in welche Software nicht die gebotene Sicherheit aufweist (zB: Die Software weist Sicherheitslücken für Cyber-Attacken auf);
- Mangelhafte Benutzerfreundlichkeit: Gemeint sind Anwendungsfälle, in denen der Anwender aufgrund einer unübersichtlichen Menüsteuerung keine Möglichkeit hat, im Bedarfsfall die Softwarefunktionen ordnungsgemäß durchzuführen (zB: Die Software enthält keine „Hilfe“-Funktion);
- Unzureichende Dokumentation der Software: Diese Kategorie umfasst Fälle, in welchen der Anwender Software aufgrund nicht bestehender oder unzureichender Dokumentation nicht in der Lage ist, die Software anzuwenden bzw zu reproduzieren (zB: Der Software wurde keine Bedienungsanleitung beigelegt).
Übersicht der österreichischen und deutschen Rechtsprechung betreffend Softwaremängel:
Kategorie: Funktionsmängel | ||
Deskriptor | Leitsatz | Geschäftszahl Fundstelle |
Fehlermeldung | Eine Fehlermeldung wurde unbegründet angezeigt | OLG Koblenz, 19.9.2007, 1 U 1614/05 |
Ablauffähigkeit | Ablauffähigkeit fehlt | OLG Frankfurt, 16.12.1987, 13 U 9/87 |
Abwicklung von Zuliefertätigkeiten | Eine ERP-Software bildet tatsächliche Gegebenheiten unrichtig ab | LG Bonn, 31.10.2006, 11 O 170/05 |
Aktualität | Software ist konzeptionell veraltet | AG Leverkusen 17.2.200, 24 C 439/99 |
Betriebsstörung | Wiederholte Betriebsstörung kann Mangel begründen | OGH, 1 Ob 531/77, 8.6.1977 |
Hardwarefehler | Stecken gebliebener Kugelkopf begründet Hardwaremangel | OGH, Ob 531/77, 8.6.1977 |
Anpassung | Unterbliebene Anpassung einer EDV-Anlage | OLG Düsseldorf, 10.12.1993, 17 U 33/93 |
Absturz | Software ist instabil und stürzt ständig ab | LG Bonn, 15.1.2008, 10 O 383/06 |
Grafikprogramm | CAD-Software markiert Flächen unrichtig | OLG Köln 22.6.1988, 13 U 113/87 |
ERP-Software | Software versendet ungerechtfertigte Mahnungen | LG Kempten, 6.7.1987, 2 O 1004/86 |
Stand der Technik | Software ist konzeptionell veraltet oder nicht dem Standard entsprechend | LG Oldenburg, 24.4.1991, 12 O 204/90 |
Industriestandard | Übernahme von Altdaten entgegen Industriestandard | OLG München, 15.2.1989, 27 U 386/88 |
Koordinationspflicht | Vermieter von Hardware hat das für das Gelingen der Datenverarbeitung erforderlich beizutragen | OGH, 29.5.1996, 3 Ob 2004/96v |
Zeilensprünge | Schreibsystem darf nicht in unregelmäßigen Abständen Zeilensprünge machen | OGH, 5 Ob 502/88, SZ 69/127 |
Falschberatung | Mangelhafte Auswahl der Dimensionierung | BGH, 6.6.1984, VII ZR 83/83 |
Beratungsfehler | Fachunternehmen muss mangelnde Eignung erkennen | OGH, 8.10.1975, 1 Ob 191/75 |
Treibersoftware | Eine Hardware enthielt keine geeignete Treibersoftware | OLG Frankfurt, 15.6.1988, 13 U 151/87 |
Umlaute | Umlaute können nicht geschrieben werden | OLG München, 15.2.1989, 27 U 386/88 |
Sprache | Entgegen Zusage nicht in deutscher Sprache programmiert | OLG Hamm C 1989, 995 |
ERP-Software | Warenwirtschaft-Kalkulationsprogramm berechnet fehlerhafte Resultate | OLG Köln 2.4.1993, 19 U 202/92 |
Kategorie: Funktionsdefizite | ||
ERP-Software | Funktion: Drucken von Rechnungen nicht vorhanden | BGH 3.4.2007, X ZR 104/04 |
ERP-Software | Nichteinarbeitung individueller Kundenwünsche (trotz Zusage hierzu) | OLG Schleswig, 6.11.1981, 11 U 117/80 |
Mehrplatzfähigkeit | Keine Mehrplatzfähigkeit trotz hohem Preis | OLG Karlsruhe, 9.11.1989, 11 U 48/89 |
Ausdruck | Fehlerhafter oder unvollständiger Ausdruck | AG Solingen, 13.10.2006, 13 C 207/04 |
Webserver | Inhalte können in Folge der Abschaltung eines Webservers nicht mehr gehostet werden | AG Charlottenburg 11.1.2002, 208 C 192/01 |
Geräuschpegel | Zu hoher Geräuschpegel | AG Tübingen, 10.4.2006, 1 C 1077/05 |
Fernwartung | Fehlende bzw fehlerhafte Fernübertragungsmöglichkeit | LG Bonn, 27.8.1992, 18 O 243/91 |
Einweisung | Auch ohne gesonderte Vereinbarung ist eine Einweisung geschuldet | OLG Frankfurt, 22.1.1985, 5 U 86/84 |
Einweisung | Bei einem Softwarelieferungsvertrag ist von einer Einweisungspflicht auszugehen | OGH, 29.10.1992, 8 Ob 547/91 |
Schulung | Ungenügende Schulung bildet Mangel | OGH, 5 Ob 504/96, 14.10.1997 |
Back-Up | Image-Backup anstatt selektivem Backup | OLG Frankfurt, 9.7.1990, 4 U 114/88 |
Ausfallzeiten | 10 % fehlerbedingte Ausfallzeit der Gesamt-Jahresbetriebszeit | OLG Nürnberg 6.8.1985, 3 U 2466/83 |
Netzwerkintegration | Fehlende Netzwerkintegration lizenzrechtlich nicht zulässig | OLG Düsseldorf. 19.5.1995, 22 U 118/94 |
Fehlende Funktionalität | Keine Eingabe von „sonstigen Titeln“ möglich | OLG Köln, 6.3.1998, 19 U 228/97 |
Mangelnde Adaption | Eine Funktion kann nicht abgestellt oder abgeändert werden | OLG Köln, 26.8.1994, 19 U 278/93 |
CAD | Software ist nicht kompatibel mit gängigem Betriebssystem | OLG Köln, 14.7.1995, 19 U 293/94 |
Kategorie: Fehlender Interoperabilität | ||
Datenmigration | Austausch von Access-Datenbank in SQL-Datenbank nicht möglich | LG Bonn, 15.1.2008, 10 O 383/06 |
Fremdsoftware | Software ist nicht kompatibel mit einer Individualsoftware eines Dritten | OLG Saarbrücken, 30.5.1990, 1 U 21/90 |
Alt-Daten | Zugriff auf Alt-Datenbestand nicht möglich | OLG Köln, 11.12.1992, 19 U 244/91 |
Datenaustausch | Datenschutzaustausch zwischen verschiedenen Warensystemen nicht möglich | OLG Hamm, 8.8.2007, 12 U 26/07 |
Online-Fähigkeit | Fehlende Integration der Online-Fähigkeit | OLG Köln, 21.2.1992, 19 U 220/91 |
Konvertierung | Adressdatei nicht im Industriestandard abgespeichert | OLG München, 15.2.1989, 27 U 386/88 |
Datenmigration | Datenübermittlung vom Alt-System in Neu-System | OLG Köln, 21.1.1994, 19 U 100/93 |
Drucker | Erweiterungskarte für einen Laserdrucker kann nicht eingesetzt werden | LG Karlsruhe, 1.10.1991, 8 Ob 517/89 |
Rechtslage | Umstellung auf neue Rechtslage (DIN-Norm) nicht berücksichtigt | OLG Frankfurt, 22.3.1980, 7 U 118/75 |
Betriebssystem | Software ist mit neuem Betriebssystem nicht kompatibel | AG Mainz, 29.11.1996, 3 TaBV 23/96 |
Kategorie: Kapazitätsmangel | ||
Speicherplatz | Software ist nur mit Speicherweiterung möglich | OLG Karlsruhe, 10.4.198, 10 U 248/86 |
Back-Up | Fehlerhafte Datensicherung | OLG Koblenz, 19.9.2007, 1 U 1614/05 |
Back-Up | Unterbliebene Datensicherung | OLG Koblenz, 19.9.2007, 1 U 1614/05 |
Datenverlust | Datenverlust infolge unzureichender Datensicherung | OLG Oldenburg, 3.6.2003, 9 U 10/03 |
Reservekapazitäten | Keine Reservekapazität | BHG 24.6.1986, X ZR 16/85 |
Speicherplatz | Speicherbedarf übersteigt Speicherkapazitäten | OLG Hamm, 9.7.1997, 13 U 203/96 |
Kategorie: Geringe Arbeitsgeschwindigkeit | ||
Antwortzeiten | Verzögere Antwortzeiten von bis zu zwei Minuten | LG Ravensburg, 31.5.1990, 5 O 1537/89 |
Antwortzeiten | Antwortzeiten sind von Umständen abhängig zu machen | LG Oldenburg,.14.1.1981, 3 O 178/79 |
Ausfallzeit | Eine jeden Ausfall ausschließende absolute Betriebssicherheit gehört nicht zu den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften | OGH, 29.5.1996, 3 Ob 2004/96v |
Netzschwankungen | Netzwerkstankung aufgrund staubiger Atmosphäre | LG Münster, 19.6.1987, 4 O 87/87 |
Ausdruckzeiten | Antworten auf normale Eingaben von mehr als zwei Sekunden | LG Ravensburg, 31.5.1990, 5 O 1537/85 |
Reaktionszeit | Computersystem weist nicht geforderte Reaktionszeit auf | LG Oldenburg, 14.1.1981, 3 O 178/79 |
Geschwindigkeit | Mangelnde Geschwindigkeit | LG Tübingen, 19.10.1992, 1 S 413/91 |
Ausdruckzeiten | Unzumutbare Ausdruckzeiten | LG Bielefeld 16.10.1985, 7 O 324/83 |
Zugriffsgeschwindigkeit | Tatsächliche Zugriffsgeschwindigkeit entspricht nicht Angaben im Herstellprospekt | LG Tübingen, 19.10.1992, 1 S 413/91 |
Kategorie: Sicherheitslücken | ||
Computervirus | Implementierung einer bereits infizierten Software | LG Regensburg, 17.6.1997, 2 S 168/96 |
Abwehrmaßnahmen | Betreiber einer über offene Netzwerke zugänglichen Datenbank trifft Pflicht Abwehrmaßnahmen zu treffen | OGH, 23.10.2018, 4 Ob 179/18d |
Administrationspasswort | Pflicht zur Herausgabe des Administrationspasswortes | OGH 25.11.2015, 8 Ob 121/15z |
Kategorie: Benutzerfreundlichkeit | ||
Softwarebeschreibung | Software ist entgegen Zusage nicht für IT-Laien geeignet | LG Heilbronn, 11.10.1988, 2 O 17/85 |
Mangelnde Bedienungsfreundlichkeit | Bedienungsunfreundlich im Vergleich zum Konkurrenzprodukt | LG Oldenburg, 24.4.1991, 21 O 204/90 |
Bedienungsfehler | Bedienungsfehler sind grundsätzlich vom Anwender zu vertreten | OGH, 31.5.1989, 8 Ob 39/88 |
Komfort | Keine Verständlichkeit für Laien | OLG Hamm, 11.12.1989, 31 U 37/89 |
Fehlertexte | Keine erklärenden Fehlertext | OLG Hamm, 11.12.1989, 31 U 37/89 |
Kategorie: Unzureichende Dokumentation | ||
Bedienungsanleitung | Bedienungsanleitung in fremder Sprache und unverständlich | OLG München, 10.7.1985, 7 U 1501/85 |
Benutzerhandbuch | Die Lieferung eines Benutzerhandbuchs stellt eine Hauptleistungspflicht dar | OLG Karlsruhe, 16.8.2002, 31 U 37/89 |
Pflichtenheft | Fehlendes Pflichtenheft geht zu Lasten des Auftragnehmers | LG Düsseldorf, 29.4.1985-41 O 92/84 |
Leistungsbeschreibung | Verkäufer tritt die Pflicht den Käufer nach Anforderungen zu fragen | OGH. 15.12.1981, 5 Ob 659/81 |
Bedienungsanleitung | Handbuch in englischer Sprache | OLG Düsseldorf, 17.10.1985, 6 U 49/85 |
Bedienungsanleitung | Die Beistellung einer schriftlichen Bedienungsanleitung ist verpflichtend | OGH, 14.10.1997, 7 Ob 94/02b |
Dokumentation | Unzureichende Ausgestaltung der Dokumentation | BGH, 22.2.1999, VIII ZR 299/98 |
Quellcode | Kommentierung des Quellcodes nicht verwertbar | AG Pforzheim, 7.7.1987, 3 C 540/86 |
Quellcode | Ob die Herausgabe des Quellcodes geschuldet ist hängt von den Einzelumständen ab | OGH 3.8.2005, 9 Ob 81/04h |
Quellcode | Unzureichende Dokumentation des Quellcodes | AG Pforzheim, 7.7.1987, 3 C 540/86 |
Bildschirmmaske | Programmdokumentation erläutert die Bildschrimmasken nicht | BGH 20.2.2001, X R 9/99 |
Online-Handbuch | Kein Handbuch in gedruckter Form | LG Stuttgart 24.1.2001, 8 O 274/99 |
Bedienungsanleitung | Handbuch bloß auf CD | LG Landshut, 20.8.2003, 2HK O 2392/02 |
[1] Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
[2] Vgl Marly, Praxishandbuch Softwarerecht, 7. Auflage, S 623; Schneider in Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Auflage, S 1728 ff; Staudegger in Jahnel/Mader/Staudegger, IT-Recht, 4. Auflage, S 234 ff.
[3] Vgl Tretzmüller, Zeitschrift für Informationsrecht, Privacy by Design in der Softwareentwicklung, Mai 2020, S 145 ff.
Autor: Dr. Tobias Tretzmüller, LL.M.
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