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Quellcode bei Individualsoftware: Muss er übergeben werden?
Quellcode bei Individualsoftware: Muss er übergeben werden?
In der täglichen Praxis von IT-Projekten taucht immer wieder eine zentrale Frage auf: Muss bei der Beauftragung einer Individualsoftware auch der Quellcode an den Auftraggeber übergeben werden? Die Antwort darauf ist komplex – und hängt stark vom Einzelfall und den vertraglichen Regelungen ab.
Warum ist der Quellcode so wichtig?
Der Quellcode (Source Code) ist der in einer Programmiersprache geschriebene, für Menschen lesbare Text eines Computerprogramms. Für den Anwender ist der Quellcode essenziell, um die Software warten, anpassen oder weiterentwickeln zu können. Ohne diesen Code bleibt die Software oft eine "Black Box" – bei Fehlern oder Änderungsbedarf ist der Nutzer auf den ursprünglichen Entwickler angewiesen.
Was sagt das Recht zur Herausgabepflicht?
Grundsätzlich gilt: Ob der Quellcode mitgeliefert werden muss, richtet sich primär nach dem Softwareerstellungsvertrag. Eine ausdrückliche Regelung im Vertrag schafft hier Klarheit. Fehlt eine solche, hängt die Herausgabepflicht vom Vertragszweck und den Umständen des Einzelfalls ab.
Individualsoftware vs. Standardsoftware
Die Rechtsprechung unterscheidet deutlich zwischen Standardsoftware und Individualsoftware:
- Standardsoftware: Hier besteht in der Regel kein Anspruch auf Herausgabe des Quellcodes, sofern im Vertrag nichts anderes vereinbart wurde.
- Individualsoftware: Bei individuell entwickelter Software kann eine Herausgabepflicht bestehen, wenn sich aus dem Vertragszweck – etwa der eigenständigen Pflege durch den Kunden – ergibt, dass der Quellcode benötigt wird.
Was sagen die Gerichte und Fachautoren?
Die Rechtsprechung legt zunehmend Wert auf den Zweck des Vertrages. So hat etwa das OLG München entschieden, dass der Anwender bei Beauftragung einer Individualsoftware ein Wahlrecht haben sollte: Entweder er schließt einen Wartungsvertrag ab oder erhält den Quellcode zur Selbstpflege. Wird ein Wartungsvertrag abgeschlossen, entfällt in der Regel das Recht auf Herausgabe des Quellcodes.
Fachautoren wie Vossius-Köbel, Redeker, Schmidt/Bierekoven und Schneider zeigen unterschiedliche Ansätze auf – einige sehen eine Herausgabepflicht bei umfassender Rechteübertragung oder hoher Vergütung, andere wiederum nur bei eindeutigen Hinweisen im Vertrag.
Know-how-Schutz des Auftragnehmers
Auch die Perspektive des Softwareentwicklers ist zu berücksichtigen. Der Quellcode enthält oft betriebliches Know-how. Deshalb scheuen sich viele Anbieter – auch bei Individualsoftware – davor, diesen ohne ausdrückliche Verpflichtung herauszugeben. Eine pauschale Herausgabepflicht ohne vertragliche Grundlage wäre unangemessen und könnte den wirtschaftlichen Wert der Software für den Entwickler erheblich schmälern.
Vertragliche Empfehlungen aus der Praxis
Um Konflikte zu vermeiden, sollte der Umfang der Quellcode-Überlassung klar vertraglich geregelt werden – sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“. Dazu gehören unter anderem:
- Dokumentation: Orientiert an Standards wie ISO/IEC/IEEE 15289:2011.
- Offenlegung von Programmbibliotheken: Insbesondere bei Einsatz von Open Source-Komponenten.
- Abgrenzung zu Drittsystemen und Basismodulen: Der Entwickler kann festlegen, welche Teile nicht übergeben werden.
Fazit
Die Herausgabe des Quellcodes bei Individualsoftware ist keine Selbstverständlichkeit – sie muss vertraglich geregelt oder aus dem Vertragszweck klar ableitbar sein. Ohne klare Vereinbarungen bleibt dem Anwender im Streitfall oft nur die gerichtliche Klärung, bei der jedoch Zurückhaltung geboten ist.
Daher unser Praxistipp: Schaffen Sie vor Projektbeginn klare Regelungen zur Quellcode-Überlassung. Nur so lassen sich spätere rechtliche Unsicherheiten und Konflikte vermeiden – zum Vorteil beider Seiten.
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