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July 14, 2025

„Stand der Technik“ im Software Engineering – zwischen rechtlicher Pflicht und technischer Realität

„Stand der Technik“ im Software Engineering – zwischen rechtlicher Pflicht und technischer Realität

„Stand der Technik“ im Software Engineering – zwischen rechtlicher Pflicht und technischer Realität

Ein Überblick über einen entscheidenden, aber oft missverstandenen Begriff

In Softwareentwicklungsverträgen und IT-Vereinbarungen begegnet man ihm immer wieder: dem „Stand der Technik“. Was auf den ersten Blick wie ein rein technischer Begriff wirkt, hat in der Praxis tiefgreifende rechtliche Konsequenzen – insbesondere bei Gewährleistung, Haftung oder Datenschutz. In diesem Beitrag erklären wir, was unter dem „Stand der Technik“ wirklich zu verstehen ist, wo die Risiken liegen und wie man diesen Begriff praxisgerecht handhabt.

Was bedeutet „Stand der Technik“?

Nach § 71a GewO wird der Stand der Technik wie folgt definiert:

„Der Stand der Technik ist der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren […] deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist.“

Das bedeutet konkret: Der Stand der Technik beschreibt Technologien, Verfahren oder Methoden, die sich in der Praxis bewährt haben, auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und von führenden Fachleuten als geeignet anerkannt sind.

Wichtig: Es geht nicht um den allerneuesten technischen Hype – sondern um erprobte und bewährte Lösungen auf einem modernen Stand.

Warum ist dieser Begriff rechtlich so relevant?

Die Formulierung „Stand der Technik“ ist in vielen gesetzlichen Regelungen verankert – etwa in:

  • Art. 32 DSGVO (IT-Sicherheitsmaßnahmen)
  • § 6 GTelG (Telekommunikation)
  • Produkthaftungsrichtlinie EU 2024/2853

Doch obwohl der Begriff häufig verwendet wird, bleibt er abstrakt. Der Gesetzgeber überlässt es im Zweifel den Gerichten, Sachverständigen und Standards, ihn mit Leben zu füllen. Das führt zu Unsicherheiten – besonders für Softwareunternehmen, die technische Innovationen mit rechtlicher Sicherheit in Einklang bringen müssen.

Vorsicht vor irreführenden Formulierungen

Gerade im Vertragswesen ist Sorgfalt geboten. Begrifflichkeiten wie:

  • „neuester Stand der Technik“
  • „beste verfügbare Technologie“
  • „Best Efforts“ (aus dem Common Law)

sind juristisch problematisch, da sie kaum objektiv messbar sind. Wer etwa den „aktuellsten Stand der Technik“ zusichert, verpflichtet sich im Grunde zu einer dauerhaften globalen Innovationsüberwachung – ein praktisch nicht einlösbares Versprechen.

Die Empfehlung lautet daher: Vereinbaren Sie den Stand der Technik – aber vermeiden Sie Übertreibungen.

Softwareentwicklung: Innovation vs. rechtliche Realität

Ein häufiger Irrtum: Viele Entwickler:innen gehen davon aus, dass Innovation automatisch besser ist. Doch rechtlich ist das Gegenteil der Fall. Wird der Stand der Technik geschuldet, kann der Einsatz brandneuer, noch nicht bewährter Technologien sogar zur Haftung führen, wenn sich diese als unsicher oder fehlerhaft herausstellen.

Praxis-Tipp:

Wenn der Stand der Technik geschuldet ist, sollten Unternehmen ihren Innovationsdrang zügeln und bevorzugt auf etablierte, dokumentierte Technologien zurückgreifen.

Was beeinflusst den Stand der Technik?

Da der Begriff dynamisch und situationsabhängig ist, gibt es keine abschließende Liste technischer Anforderungen. Einfluss haben u. a.:

  • Normen & Standards (z. B. ISO, DIN)
  • Branchenrichtlinien
  • Fachgutachten und Sachverständigenmeinungen
  • Empfehlungen europäischer Gremien wie ENISA oder dem Europäischen Datenschutzausschuss

Rechtliche Folgen bei Nichteinhaltung

Wenn ein Produkt oder eine Software nicht dem geschuldeten Stand der Technik entspricht, kann das schwerwiegende Konsequenzen haben:

  • Gewährleistungsansprüche wegen Mängeln
  • Schadenersatzforderungen, z. B. nach Sicherheitsvorfällen
  • Verstöße gegen Datenschutzrecht, z. B. bei fehlenden Schutzmaßnahmen gemäß Art. 32 DSGVO

Im Streitfall entscheidet meist ein IT-Sachverständiger, ob ein Mangel vorliegt – u. a. anhand üblicher Fehlerquoten, eingesetzter Verfahren und der Dokumentation des Entwicklungsprozesses.

Fazit: Technologisch am Puls, rechtlich auf Kurs

Der Begriff „Stand der Technik“ ist viel mehr als juristische Floskel – er ist ein maßgeblicher Orientierungspunkt für Qualität, Sicherheit und Haftung in der Softwareentwicklung. Gerade in einer Zeit, in der sich Technologien rasant weiterentwickeln, ist es wichtiger denn je, sich bewusst mit dem Begriff auseinanderzusetzen.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen:

  • Verwenden Sie präzise Formulierungen in Verträgen
  • Setzen Sie auf bewährte Technologien, wenn der Stand der Technik geschuldet ist
  • Vermeiden Sie vage oder überzogene Begriffe wie „aktuellste Technik“
  • Halten Sie sich an branchenspezifische Normen und Richtlinien
  • Dokumentieren Sie den Entwicklungsprozess sorgfältig

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